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Terrorismusvgl. Daase/Spencer 2010 und Daase/Spencer 2017

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Mit den Terroranschlägen auf das World Trade Center am 11. September 2001 begann (gemessen an jährlichen Veröffentlichungen) das sogenannte „Golden Age“ der Terrorismusforschung. Vorher ordnete sich dieser Strang den Security Studies unter. Heute ist er jedoch ein eigenständiges Forschungsfeld, dessen Mängel (keine weit akzeptierte Definition des Gegenstandes, Mangel an Theoriebildung, Ereignisbezogenheit) stark diskutiert werden. Terrorismus gilt als eine der größten sicherheitspolitischen Herausforderungen und bietet gemeinsam mit Antiterrorismus eine nicht unumstrittene Thematik. Terrorismusforschung bewegt sich zwischen politischen und ethischen Fragestellungen, bei der auch die  Differenzierung zwischen Freiheitskämpfer*in und Terrorist*in eine wichtige Diskussion ist. Denn erst ein gemeinsames Verständis davon, wer als Terrorist*in wahrgenommen wird ermöglicht beispielsweise die Kooperation im internationalen Rahmen. Unklarheit bzw. Uneinigkeit über diese Frage erschwert auch die theoretische Konzeptspezifikation von Terrorismus. Die einzige weit verbreitete Übereinstimmung bezüglich der Begriffsbestimmung und Konzeptualisierung lautet, dass Terrorismus nicht objektiv aufgrund eines Merkmalskatalog zu definieren ist (Daase/Spencer 2017: 830).

 

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Definitionsversuche

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Bedeutung erfuhren Eugene Walthers (Schulze/Wessel 2009) drei Komponenten, die den Prozess des politischen Terrorismus kennzeichnen. Aus diesen resultiert ein Fokus auf die kommunikative Konstruktion von Terrorismus:

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  1. Akt der Gewalt bzw. die Androhung von Gewalt 

  2. Emotionale Reaktion auf Akt bzw. Drohung 

  3. Soziale Wirkung resultiert aus Akt bzw. Drohung 

 

Schmid und Jongmann (1988, zitiert nach Daase/Spencer: 832) verteten die These, dass die Natur des Terrorismus nicht im gewaltsamen Akt innewohnt. Vielmehr kann ein und derselbe Akt terroristischer Natur sein, muss er aber nicht. Das wiederum ist abhängig von Intention und Umständen. Ihre Definition von Terrorismus ist die am häufigsten zitierte und lautet wie folgt: 

 

 „Terrorismus ist eine Furcht erzeugende Methode wiederholten Gewaltverhaltens, ausgeführt von

(halb-) geheimen individuellen Gruppen- oder Staats-Akteuren, aus idiosynkratischen, kriminellen oder politischen Gründen, wobei [...] die direkten Ziele der Gewalt nicht die hauptsächlichen Ziele sind. Die unmittelbaren menschlichen Opfer [...] dienen als Erzeuger einer Nachricht. Auf Drohung und Gewalt basierende Kommunikationsprozesse zwischen Terroristen (Organisationen), (gefährdeten) Opfern und den hauptsächlichen Zielen werden genutzt, um die hauptsächlichen Ziele (das Publikum) zu manipulieren, wodurch dieses zu einem Ziel des Terrors, einem Ziel für Forderungen oder einem Ziel für Aufmerksamkeit gemacht wird, je nachdem, ob in erster Linie Einschüchterung, Zwang oder Propaganda angestrebt wird."

(Schmid/Jongmann 1988:28, zitiert nach Daase/Spencer: 832).

 

Des weiteren gibt es  vier traditionelle Methoden der Begriffsdefinierung: 

 

1. Pragmatismus definiert Terrorismus als den "illegalen Gebrauch von Gewalt", der zur Erreichung "politische[r] Ziele", "Angriffe auf unschuldige Menschen" verübt (Laquer 1987: 72, zitiert nach Daase/Spencer 2017: 831). Probleme dieser Konzeptualisierung sind Annahmen, dass Terrorist*innen immer illegale Gewalt nutzen und ihre Ziele politisch sind.

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2. Moralismus beruft sich auf drei Kriterien, anhand derer Legitimität politischer Gewalt erkannt werden kann: Das Beachten des Völkerrechts, Töten von Zivilist*innen und die Erfolgschancen eines Kampfes (Crenshaw 1983, zitiert nach Daase/Spencer 2017: 831). Kritisiert wird die Orientierung am Völkerrecht.
 

3. Positivismus beruft sich auf die obenstehende Definition von Schmid und Jongman.

 

4. Konstruktivismus orientiert sich bei seiner Konzeptualisierung von Terrorismus an einem Kriegsbegiff von Clausetwitz. Demnach stellt Terrorismust eine Handlung dar, in der ein "nicht-staatlicher Akteur gezielt manifeste Gewalt gegen Zivilisten einsetzt (Mittel), um Angst und Schrecken zu verbreiten (Ziel) und einen Staat zur Veränderung seiner Politik zu zwingen (Zweck)" (Daase/Spencer 2017: 832).  


 

Die traditionelle Terrorismusforschung

 

Die traditionelle Terrorismusforschung differenziert vier Wellen des Terrorismus (Rapoport 1984, zitiert nach Daase/Spencer 2010). Im 19. Jahrhundert kommt es in Europa zu einer anarchistischen Welle des Terrorismus. Diese führt zur Unterscheidung von legitimer politischer Gewalt staatlicher Akteure und illegitimer politische Gewalt durch nichtstaatliche Akteure. Die darauffolgende antikoloniale Welle behandelt Befreiungskriege. Hier tritt das Dilemma der Unterscheidung zwischen Freiheitskämpfer*innen und Terrorist*innen auf. Die dritte Welle bildet der europäische Linksterrorismus. Dieser führte zu einem Verständnis legitimer und illegitimer Opposition in westlichen Demokratien. Aktuell befinden wir uns in der religiösen bzw. insbesondere in der islamistisch geprägten Terrorismuswelle. Ihre Existenz ist umstritten, da sie kein explizit neues Phänomen darstellt. Ebenfalls präsent ist sogenannter Weiße Terrorismus (auch "White Supremacy Extremism"), der trotz geografischer Nähe oft weniger Aufmerksamkeit bekommt als religiöser Terrorismus (Soufan 2019).

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Erforschung der Ursachen von Terrorismus

 

Die Ursachenerforschung des Terrorismus lässt sich in drei Ebenen unterteilen: Individualistische, kollektiv-rationale und konstruktivistische Theorien. 

Die erste Ebene konstituieren individualistische Terrorismustheorien, welche das individuelle Verhalten durch die Untersuchung von Lebensbedingungen, Persönlichkeitsprofilen und Motivationslagen zu erklären versuchen. Verschiedene Theorien finden sich hier wieder: Theorie der relativen Deprivation, Rational-Choice-Theorien und psychologische Theorien. 

Da sich die Orientierung an rein individueller Nutzenmaximierung als nicht hinreichend beweist, ergänzt Ebene Zwei die Ursachenforschung. Hier greifen kollektiv-rationale Erklärungen. So kann auch etwas, gleichzeitig aus individueller Sichtweise irrational und aus kollektiver Sicht rational sein. Als Beispiel kann hier ein Selbstmordattentat genannt werden (Daase/Spencer 2017: 842).

Wann aber verwandeln sich Präferenzen und Werte in terroristische Taten? Um das zu erklären wird eine dritte, konstruktivistische Ebene herangezogen. In dieser wird Terrorismus als Reaktion auf ein systemisches Umfeld zum Zwecke der Kommunikation verstanden (Daase/Spencer 2017: 842).

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Strategien der Bekämpfung

 

Bei der Terrorismusbekämpfung kann an verschiedenen Ebenen, zu unterschiedlichen (zeitlichen) Dimensionen mit verschiedenen Mitteln vorgegangen werden. Prinzipiell kann die Bekämpfung in Form eines militärischen Modells und eines strafrechtlichen Modells erfolgen. Letzteres erkennt Terrorismus als Verbrechen und nutzt strafrechtliche Mittel (Strafverfolgung, Polizeiermittlung, Verurteilung) zur Bekämpfung und Prävention. Die Wirkung dieser Prävention ist jedoch umstritten, da die erhoffte Abschreckung gerade bei bspw. Selbstmordattentäter*innen nicht einschätzbar ist (Daase/Spencer 2017: 844-845). Weitere Schwierigkeiten entstehen durch die Kooperation verschiedener Behörden und den Umgang mit Informant*innen.

 

Das militärische Modell sieht Terrorismus als Krieg, welcher eine Reaktion durch Streitkräfte fordert, um die Macht von terroristischen Gruppierungen zu beschränken und zu isolieren. Dennoch kann bezweifelt werden, ob sich terroristische Gruppen überhaupt abschrecken lassen. Zudem verfolgen Terrorist*innen keine konventionelle Kriegsführung und bieten wenig physische Angriffsfläche. DIe Informationsbeschaffung erweist sich als schwierig. Gegenangriffe können zu einem größeren Bekanntheitsgrad der Terrororganisation führen, wodurch die Rekrutierung angekurbelt werden kann (Daase/Spencer 2017: 847-848).


 

Probleme der Bekämpfung

 

Zentrale Voraussetzung für effektive Terrorbekämpfung ist die Kooperation von Staaten (Bassiouni 2001; Dhanapala 2005, zitiert nach Daase/Spencer 2010: 416). Dennoch legen Nationen hohen Wert auf die Souveränität ihrer Sicherheitsdienste und auf die Autonomie der nationalen Sicherheitslage (Aldrich 2004, zitiert nach Daase/Spencer 2010: 417). Unterschiedliche Wahrnehmungsbedrohungen und Kostenverteilungen hindern Zusammenarbeit und die Finanzierungsbekämpfung gestaltet sich als äußerst schwierig (Napoleoni 2004, zitiert nach Daase/Spencer 2010: 417), da Terrorismus als sehr billig gilt (Navias 2002, zitiert nach Daase/Spencer 2010: 417).

 

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Probleme der Forschung 

 

Als großes Problem der Terrorismusforschung erweist sich die Datenbeschaffung. Aufgrund des hohen Sicherheitsrikos, das für Forschende in Kontakt mit terroristischen Organisationen besteht, existiert zu wenig Empirie. Auch lassen sich innere Dynamiken und Strukturen terroristischer Organisationen nicht gut untersuchen, wenn diese sich im Untergrund bewegen. Daase/Spencer (2017: 852) schreiben, dass durch die Abhängigkeit von Geheimdiensten und Terrorismus-Aussteiger*innen als Quellen, die Verifizierbarkeit als Gütekriterium für Wissenschaft nicht eingehalten wird. Innerhalb der letzten Zeit haben sich zwei neue, konkurrierende Forschungsstränge entwickelt:

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Der Neue Terrorismus

 

Hier kommt es zu einer Unterscheidung zwschen altem und neuem Terrorismus. Alter Terrorismus beinhaltet politische Ziele, die mit proportionalen Mitteln verfolgt werden, sorgfältig ausgewählte Opfer, Vermeidung von Handlungen, die spätere Verhandlungen ausschließen, eine hierarchische Gruppenstruktur und eine Verflechtung innerhalb staatlicher Strukturen. Neuer Terrorismus hingegen ist gekennzeichnet durch eine Verbindung zu Religion als zentrales Merkmal, daraus abgeleiteter Kompromisslosigkeit, fehlende politische Agenda, Fokussierung auf Vernichtung und Absage jeder Verhandlung. Als gängig gelten Anschläge und Selbstmorde, ABC Waffen werden nur als Frage der Zeit gesehen und die Gruppierung pflegt flexible und nicht-hierarchische Organisationsstrukturen. Als Kritik an diesem Ansatz wird angebracht, dass "alt" und "neu" nicht so streng getrennt werden können. So haben sich auch beispielsweise ältere Formen des Terrorismus auf Glaubenssysteme gestützt (vgl. Field 2009).


 

Critical Terrorism Studies (CTS) nach Richard Jackson     

 

Die kritischen Terrorismusstudien (auch "Critical Terrorism Studies" oder "CTS") kritisieren die traditionelle Forschungspraxis, ebenso wie die Narrative, die in der Terrorismusforschung transportiert werden (Ramsey 2015). CTS bemängeln die Wertehierarchien der traditionellen Terrorismusforschung, die sich häufig in einer staatszentrierten Perspektive widerspiegeln. In den CTS wird Terrorismus als Ergebnis eines sozialen Prozesses verstanden, der durch Sprache und intersubjektive Praktiken geschaffen wird. CTS erkennen, dass neutrales bzw. objektives Wissen über Terrorismus aufgrund eurozentristischer und genderspezifischer Grundeinstellungen unereichbar ist. In diesem Zuge werden die ontologischen Thesen vertreten, dass Terrorismus in sozialem und politischem Kontext analyisert werden muss. Zudem gehen von den CTS ein Maß an Reflexivität aus, da bei Antiterrorismus immer die Frage nach legitimer und illegitimer Gewalt ausgeht(vgl. Ramsey 2015).

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Dieser Forschungsüberblick zeigt, dass Terrorismus eine schwer zu konzeptualisierende Herausforderung ist, die sich stetig wandelt und verändern kann. Durch verschiedene Ansätze und Herangehensweisen wird Terrorismus versucht zu verstehen, einzuordnen und vorherzusehen. Die hier vermittelnden Grundlagen sollen helfen den Diskurs um Terrorismus zu verfolgen und zu begreifen.    

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