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Frauen im IS

Rekrutierung und Propaganda
Rekrutierung von Frauen im IS - Ein Gespräch
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Wie werden Frauen für den IS rekrutiert?

 

Wie vollzieht der IS eine geschlechterspezifische Propaganda?

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Wieso der IS so beständig an der Ausweitung seines Netzwerkes arbeiten kann, steht unter anderem mit seiner ausgefeilten Kommunikationsstrategie in Verbindung. Unter der Benutzung Sozialer Medien, anderen Videoplattformen, eigener Magazine und Zeitschriften können sehr einfach auch Personen außerhalb der Territorien in Syrien und Irak erreicht und radikalisiert werden. Suleyman et al. (2018) bezeichnen u.a. Social Media in diesem Kontext als eine neue Form eines öffentlichen Raumes. Die Propaganda wird also auf drei Leveln ausgeübt: Über den offiziellen Kanal Al-Hayat, durch die Produktion von Informationsmaterial in den überwachenden Büros und über IS-Mitglieder, die auf Social Media als Influencer*innen agieren. Weibliche Nutzerinnen richten sich gerade auf Social Media im Sinne der Geschlechtertrennung an andere Frauen und beziehen sich auf weiblich konnotierte Themen. Im Zuge des Kalifats wurden unter dem Paradigma des gendered messaging eigene Kanäle nur für weibliche Zielgruppen eingerichtet und unter „sister-to-sister-Motiven" Propaganda betrieben (Saltman/ Smith 2015).

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Chatterjee (2016) identifiziert vier Pullfaktoren im Bezug auf weibliche Anhängerinnen des IS aus dem westlichen Raum:

  1. Die Ideologie wird als ansprechend und revolutionär kommuniziert.

  2. Die Frauen finden sich in einem Dilemma zwischen der westlichen Welt und den traditionellen jihadistischen Prinzipien wieder und sehen in dem IS einen Zufluchtsort.

  3. Die Migration in den IS wird als romantisches Abenteuer wahrgenommen.

  4. Der IS kann eine starke Medienpräsenz in verschiedenen Sprachen aufweisen.

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In Bezug auf diese vier Pullfaktoren analysiert Nelly Lahoud (2018) in einer Studie für UN-Women die Propagandamagazine des IS al-Naba, Dabiq, Rumiyah und Dar al-Islam, welche auf Arabisch, Englisch und Französisch erscheinen und deshalb für viele Teile der Welt zugänglich sind. Die Sprache in den Magazinen beeinflusst laut Lahoud (2018) maßgeblich wie Frauen präsentiert werden. In den arabischsprachigen Magazinen werden Frauen wesentlich negativer und Männern stärker untergeordnet dargestellt. Außerdem werden Genderrollen in widersprüchlichen Argumenten strategisch in die Darstellung von Frauen eingebettet um die Kontrolle über die Ideologie zu gewährleisten. Im Mittelpunkt der Artikel steht dabei unter Anderem das Narrativ der Auswanderung, welches zu Gunsten der Rekrutierung von Frauen aus dem Westen umgedeutet werden kann. In traditionell jihadistischen Interpretationen und somit der Ideologie des IS, ist es Frauen nicht gestattet alleine zu reisen, zu Zwecken des Lebens im Kalifat allerdings schon. Da diese Artikel meist von Frauen verfasst werden und auf Interessen sowie Prioritäten von jungen Frauen abzielen, bekommen die Schriften von den Leser*innen einen vermeintlich emanzipatorischer Effekt zugeschrieben, der eine „Fassade“ weiblicher Agency projiziert. Allerdings ist hier zwischen einer Stimme und tatsächlicher Handlungsmacht zu unterscheiden. In den Propagandamagazinen geht es letzten Endes immer noch das Empowerment des IS, nicht aber die Ermächtigung von Frauen (Lahoud 2018).


Zur Genderperskeptive der Propagandastrategien gehört auch die Beobachtung der auf Männer abgezielten Propaganda. Es wird ausschließlich eine dominante Maskulinität kommuniziert (Lahoud 2018) und in hegemonialer Männlichkeit argumentiert. Somit steht hinter der Nutzung von „pejorative and submissive notions of womanhood“ immer die Absicht „to reinforce ideas about masculinity“ (CTED 2019: 14). Eine Anerkennung der gendered Perspektive sollte also von beiden Seiten gegeben sein, um die Machtstrukturen geprägt von männlichen Stereotypen, die das Propagandanarrativ maßgeblich prägen, in ihrer Gesamtheit zu verstehen (CTED 2019).

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Inwiefern unterliegen dem Beitritt in den IS Ermächtigungsmotive?

Das Konzept eines "jihadi feminism"

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Im Zuge einer ganzheitlichen Analyse der Rolle von Frauen im IS stößt man im Kontext der Mobilisierung von Frauen auf das Verständnis eines „Jihadi Feminism". Jihadi Feminism oder auch gendered jihad, kann als eine Antwort des radikalen Islams auf den Miteinbezug von Frauen verstanden werden (Makanda 2019). Vor allem werden über einen gendered jihad die Propagandanarrative des IS auf Frauen zugeschnitten. Somit wird ihnen eine Handlungsmacht geboten und Möglichkeiten aufgezeigt, einen aktiven Part im “combative” jihad anzunehmen. In dem Manifest “Women in the Islamic State: Manifesto and Case Study” von der weiblichen Al-Khanssaa Brigade des IS, werden Frauen dazu aufgerufen neben ihrer Rolle als Hausfrauen, Ehefrauen und Mütter auch einen festen Platz in kämpferischen Aktivitäten einzunehmen (Saikal 2016; Winter 2015). 

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Jacoby (2015) illustriert diese Perspektive auch am Fall der Jihadi Brides, also den Frauen die aus westlichen Sphären rekrutiert werden um IS-Kämpfer zu heiraten. Diesen wird ein Ausweg aus der westlichen Gesellschaft geboten, in der sie ihrer Rolle, nach den Vorstellungen des IS, nicht gerecht werden können: „Jihadi brides seek to challenge the gender hierarchy of both their society of origin and their newfound identity within ISIS“ (Jacoby, 2015). Auch die Radikalisierung des IS ist ein Weg in männlich-dominierte Felder und kopiert aus mancher Perspektive typische Handlungsmotivationen feministischen Aktivismus (Jacoby 2015).  

 

Jacoby (2015) stellt auch in den Raum, dass am Ende des Aktes der vermeintlichen Emanzipation keine Gleichstellung im säkularen westlichen Sinne steht und zeigt so die Grenze des Konzeptes eines Jihadi Feminism auf. Makanda (2019) beschreibt diesen Jihadi Feminism als eine Kontradiktion von Emanzipation und Unterdrückung durch die Machtdynamiken im IS. Durch die für die Frauen angestrebte Anteilhabe am Jihad bewegen sie sich in ein patriarchales System. Dabei ist der Grad von emanzipatorischer Wirkung vor allem davon abhängig, welche Rolle für die Frauen kommuniziert wird (Khelgat-Doost 2017). Bei einer Ausweitung des Gendered Jihad auf andere Terrorgruppen wird von Von Knop (2007) aufgezeigt, dass eine Partizipation der Frauen in terroristischen Aktivitäten immer auch mit ihrer Unterordnung einhergeht (Von Knop 2007). 

 

Auf die Frage, ob ein „Jihadi Feminism“ als Verbindung der beiden Begriffe so überhaupt möglich ist, lässt sich also keine abschließende Antwort finden. Vor allem aber bleibt es eine wichtige Perspektive um zu verstehen, welche Motive in der Propaganda des IS stehen und vorrangig Frauen aus der westlichen Welt in Bewegung setzen. Jacoby zieht folgendes Fazit: „For now, ISIS Women enact many of the traditional strategies used by feminists, including politicizing the personal and struggling for a prominent place in the cause, as they see to be“ (Jacoby 2015: 541). 

Für die rekrutierten Frauen steht eine Eingliederung in den IS auch unter dem Motiv einer Abgrenzung von der westlichen Perzeption der Frau. Durch die spezifische Aufgabenverteilung sind Frauen zum Einsatz ihrer traditionellen und aufgrund ihres Geschlechts indoktrinierten Kapazitäten gezwungen. Innerhalb dieses vom Mann abgetrennten und als wichtig erachteten Aufgabenbereichs erleben sie Handlungsmöglichkeit und ein Zugehörigkeitsgefühl, das einige als Alternative zu säkular-westlicher Emanzipation erleben (Khelgat-Doost 2017).

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Das Leben im IS

Welche Rolle nehmen Frauen im Leben des IS ein?

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gendered Counter-Terrorismus

Wie kann der IS unter Berücksichtigung der Genderdimension eingedämmt werden?

 

Wie Troy (2019) argumentiert, ist eine Eindämmung des IS dann sinnvoll und möglich, wenn die hybride Natur des IS berücksichtigt wird. Um Gegenmaßnahmen auch auf die ideologische Machtexpansion ausweiten zu können, nimmt eine mögliche Strategie die Narrative des IS in den Fokus. In Bezug auf die Genderdimension, die in allen Teilbereiche unserer Analysen an Wichtigkeit gewinnt, herrscht ein vorherrschendes Grundsatzproblem: Die Handlungen von Frauen werden bislang nur selten als politisch anerkannt und häufig einer persönlichen Motivation zugeschrieben. Um erfolgreiche Eindämmungsstragien zu implementieren, muss also zunächst die Diversität der Beweggründe anerkannt werden (CTED 2019).

 

In den Ausarbeitungen zu Rekrutierung und Propaganda des IS wird deutlich, dass der IS auf vielen Ebenen in Form eines globalen Netzwerkes agiert. Fallstudien beschäftigen sich zum Großteil mit Frauen, die aus dem Westen in den IS immigrieren und sich über Internetplattformen radikalisieren (Saltman/Smith 2015). Um eben diese Rekrutierungsstärke zu verringern, bieten Präventionsmaßnahmen einen Ansatz um die ideologische Machtexpansion zu bremsen. Nach den Fallanalysen von Saltman et al. (2015) und Gielen (2018) müssen dabei zwei Level und Zielgruppen unterschieden werden. In einer ersten Stufe sollen potentielle Gruppen mit vulnerablen Individuen identifiziert und mit Fähigkeiten zu kritischem Medienkonsum ausgestattet werden. Ist ein Radikalisierungsprozess bereits initiiert, besteht die Möglichkeit mit Counternarrativen zu argumentieren und alternative Sichtweisen aufzuzeigen. Dann kann die Lebensrealität der Propagandarealität entgegengesetzt werden (Lahoud 2019). Eben das bietet eine besondere Herausforderung, da der IS über einen gut koordinierten Informationsfluss verfügt und sich die Kommunikationsstrategien häufig an dem auf antimuslimischen Strukturen der westlichen Welt bezieht (Troy 2019).

 

In einer dritten Stufe wird die Wichtigkeit von sogenannten Exitprogrammen für rückkehrende Personen aufgenommen. Frauen, die zurückkehren, werden dabei meist als einer weniger große Gefahr betrachtet, als rückgekehrte Männer. Auch sind die Frauen potentiell Opfer sexueller Gewalt und wesentlich verwundbarer. Dadurch besteht ein höheres Risiko eines Rückfalls, einer Reradikalisierung und einer schlechteren Reintegration (CTED 2019).

Wie Gielen (2018) nach einer Analyse von niederländischen Systemen feststellt ist dabei die Einbettung in soziale System von elementarer Relevanz, um eine Alternative zur Sisterhood des IS zu bieten. Exit Programme sind dann erfolgreich, wenn es einen holistischen Ansatz gibt, der ideologische, soziale und praktische Probleme aufgreift.

 

Es gibt bis dato wenige Fallstudien zu Frauen, die lokal rekrutiert werden oder langfristig dort bleiben. Besonders für ein erfolgreiches Peacebuilding im Irak und in Syrien sind diese Perspektiven allerdings essentiell. Ein möglicher Ansatz benennt eine bessere Vertretung von Frauen in den Sicherheitsinstitutionen, wodurch ein besserer Zugang Frauen in der Peripherie des IS und so eine gesteigerte Vertrauensbasis von Sicherheitskräften und den Gemeinschaften erreicht werden kann (CTED 2019). Aleksandra Dier, die Gender Beauftragte des UN-Counter-Terrorismus Units zieht in einer Interview mit dem Center for Feminist Foreign Policy folgendes Fazit:

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„This shows that we face particular challenges when it comes to addressing the needs of women and more research, including impact evaluations, will be required to better understand gender-specific needs and vulnerabilities in this area and avoid gender bias that potentially both compromises security and neglects the needs of women“ (CFFP 2019).

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Auch wenn der IS sein Territorium nicht länger ausweiten konnte, bleibt das sicherheitspolitische Gefahrenpotential erhalten. Deshalb sollten erfolgreiche Eindämmungsstrategien proaktiv und asymmetrisch erfolgen, sich nicht auf rein interventionistische Maßnahmen begrenzen und einen langfristigen globalen Ansatz verfolgen (Troy 2019).

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